Natur ist Medizin
„Des Wanderns Lust ist, dass man die Zwecklosigkeit genießt. Genüge im eigenen Selbst zu finden, das ist des Wanderns höchste Stufe.“
(Lieh tse, daoistischer Philosoph um 450 v.Chr)
Wanderlust
Vor vielen Jahren sind mein Mann, unser Hund Grizzly und ich vom Westerwald bis zum Bodensee gewandert. 19 Tage waren wir mit dem Rucksack unterwegs, haben einen Schritt vor den anderen gesetzt. Haben still atmend Natur ganz nah erlebt (manchmal auch laut keuchend). Haben uns gespürt – die Lunge, die Fußsohlen, die Knie und Muskulatur; haben auch Hunger, Durst und Müdigkeit neu kennenlernt. Unterwegs waren wir manchmal zermürbt, sind im Kreis gelaufen, wurden von Schmerzen geplagt und wollten aufgeben. Doch abends, am Ziel, geduscht und mit einem Essen auf dem Tisch, fühlten wir uns stolz, erfüllt und überglücklich.
Als ich heute das Zitat von Lieh tse las, erinnerte ich mich an diese Wanderung und die guten Gefühle von damals. Ich konnte mich mit seinen Worten verbinden und dachte: Ja, was er beschreibt, hat das Wandern in mir bewirkt. Ich habe beim Wandern so etwas wie Genüge im eigenen Selbst gefunden.
Psychologische Auswirkungen der Natur auf Geist und Seele waren zu Lieh tses Zeiten um 450 V.Chr. reine Erfahrungswerte und philosophisch interessant. Es ist uns allen bewusst, dass persönliche Erlebnisse nicht für andere gelten – es sei denn, sehr viele Menschen erleben innerlich ähnlich. Und tatsächlich finden Neurowissenschaftler mehr und mehr Beweise für die positive Wirkung der Natur auf die Psyche des Menschen: Längere Aufenthalte in der Natur wirken intensiv auf Gehirn, Stimmung und Verhalten. Ängste, Grübeln und Stress nehmen ab. Konzentrationsfähigkeit, Kreativität, Vertrauen und Empathie wachsen.
Natur ist heilsam
Was tun Sie am liebsten in der Natur? – Hier sind ein paar Dinge, die in zahlreichen Versuchen in verschiedenen Ländern als heilsam bestätigt wurden:
- In einem von Natur geprägten Umfeld zu wandern oder sich auch nur dort aufzuhalten oder sogar einfach nur Fotos von Natur anzusehen – all das reduziert Anzeichen von Stress und reguliert den Herzschlag. Testpersonen berichten auch von weniger Ängsten, größerer innerer Ausgeglichenheit und gesteigerter guter Laune.
- Vielleicht kennen Sie auch Gefühle von Glück und geistiger Ruhe, wenn Sie eine Weile in der Natur waren? Dann spüren Sie, was auch Probanden berichteten. Es wurden noch weitere positive Auswirkungen nachgewiesen: Auch Grübeln und negative Gedanken über sich selbst verschwinden; das Gedächtnis wird leistungsfähiger.
- Dazu passt die nächste Erkenntnis:
Wer sich mental müde, überfordert oder gar nahe am Burn-out fühlt, kann sich durch mehrere Tage in der Natur ohne digitale Medien wieder regenerieren. Schon drei Tage wirken auf den Organismus, als hätten Sie einen Reset-Knopf gedrückt. Schon nach dieser kurzen Zeit steigern sich Kreativität, Aufmerksamkeit, Denkfähigkeit, ein allgemeines Gefühl von Wohlbefinden merklich. - Freundlichkeit und Großzügigkeit sind zwei weitere Eigenschaften, die natürlicherweise zunehmen, wenn wir überwältigende Naturszenen betrachten und uns darin bewegen. Probanden zeigen auch Ehrfurcht, Vertrauen und größeres ethisches Empfinden.
- Wen wundert jetzt noch der Nachweis, dass Natur zu einem Gefühl von mehr Lebendigkeit führt? Energie und Vitalität kommen zu all den genannten positiven Auswirkungen hinzu. Insgesamt kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis: Viel draußen zu sein, leistet einen großartigen Beitrag zu psychischer Gesundheit, verbessert das Denken, führt zu größerem innerem Gleichgewicht, macht Menschen freundlicher und stressfreier und fördert insgesamt eine positive, kreative Lebenshaltung.
Teil der Natur
Wer die Natur liebt, wusste das alles ohnehin schon längst, oder? Ganz intuitiv haben wir das schon immer gespürt. Diese guten Gefühle draußen sind letztlich auch mit ein wichtiger Grund, warum es uns immer wieder hinaus zieht in den Wald, ans Meer in die Berge, unter den Sternenhimmel … Wo ist Ihr Lieblingsplatz, an dem Sie auftanken, leer werden dürfen und doch ganz viel mitnehmen?
Eines kommt für mich noch hinzu: Wenn ich einige Zeit in der Natur bin und innerlich still werden kann, wird mir meine Zugehörigkeit zum Ganzen bewusst. Ich bin verbunden, bin ein Teil dieser Natur, wie andere Lebewesen auch. Dieses Verständnis ist tiefer, als es der bewusste Verstand je erfassen könnte. Es wird mir in seltenen Augenblicken auf mystische Weise mit Körper und Seele begreifbar, ganz ohne Denken. Das hat nachhaltige, positive Wirkung und schafft Vertrauen.
Dichter
Zu allen Zeiten haben sich Dichter dem gesunkenen Mut der Seele angenommen … so schreibe ich auf meiner Website Seelennahrung – Gedichte zum Nachspüren Dichter und Gedichte geben etwas weiter, das für uns Leser auf einer tieferen, persönlichen Ebene nachvollziehbar werden kann, vielleicht nur für einen Moment, in dem wir wirklich Teil an der im Gedicht besungenen Natur haben. Und auch wenn es keine Forschungen dazu gibt: Wir spüren eine positive, ermutigende, wohltuende Wirkung. Dazu braucht es keine langen Versuchsreihen. Es reicht, sich entführen zu lassen in die Welt des Dichters und seinen eigenen Gefühlen zu vertrauen.
In diesem Sinne – machen Sie es gut und genießen Sie öfter mal in diesem Frühling die Zwecklosigkeit des Wanderns in der Natur. Und finden Sie dann vielleicht sogar Genüge im eigenen Selbst.
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