Aus dem Trauma herauswachsen
Traumatische Erfahrungen verändern
Die Zeit heilt Wunden, so heißt es. Und es ist erstaunlich, dass das wirklich so ist, sehen wir uns mal an, wie eine Schnitt- oder eine Hautverletzung in kurzer Zeit tatsächlich wieder heilen. Doch wie ist es mit seelischen Wunden? Wenn Zeit vergeht und wir Abstand gewinnen, dann ist das in aller Regel ebenfalls genug, um mit einer Verletzung, Enttäuschung oder einem Verlust irgendwie fertig zu werden und das Ereignis ins Leben zu integrieren.
Das gelingt nicht bei Traumata. Das Erlebte ist wie ein Schreckgespenst, das lauert und überfallartig zuschlagen kann. Wenn die Psyche furchtbare Erlebnisse nicht verkraftet, findet sie andere Wege, damit umzugehen. Zum Beispiel durch inneres Abspalten von Gefühlen; oder durch besonders starke, nicht erklärbare Gefühlsreaktionen; oder durch eine Weigerung der Psyche, den eigenen Körper richtig wahrzunehmen; oder durch Schmerzen, die körperlich unerklärlich sind; oder durch ein Gefühl, als sei man von sich selbst getrennt; oder durch noch andere Auswirkungen.
Verlust von Verbindung
Der Verlust von Verbindung ist im Vordergrund, das Band zwischen Körper und Seele und bewusstem Erleben geht verloren. Yoga bedeutet Verbindung und bietet sich deshalb an, ganzheitliches Empfinden über Bewegung wieder langsam anzubahnen und allmähliche Heilung vorzubereiten. Wer achtsam auf seine Bewegung achtet, ist ganz bei sich und im Moment. Da geschieht einfach ein Stück Verbindung durch die Präsenz im Durchführen der Yogaübung. Wird die Bewegung durch ein unterstützendes inneres Bild und einen hilfreichen Gedanken ergänzt, können sich Körper und Seele auf einer neuen Bewusstseinsebene wieder begegnen.
[bctt tweet=“Lebendigsein ist eine körperliche Erfahrung.“ username=“koquirmbach“]
Um nicht weniger geht es in dem Buch Traumasensibles Yoga – TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl, erschienen im Klett-Cotta Verlag. Angela Dunemann, Regina Weise und Joachim Pfahl haben die Methode des traumasensiblen Yoga in der Praxis erprobt und erforscht und dazu ein informatives und hilfreiches Buch geschrieben. Das Autorenteam stellt zahlreiche Übungen vor und klärt überzeugend die sich ergänzenden Wirkungen zwischen Psycho- und Yogatherapie. Es richtet sich zwar hauptsächlich an Therapeuten und Yoga-/Meditationslehrer, doch ich halte es auch für sehr wertvoll für die Betroffenen selbst.
Die Autoren behaupten: „Lebendigsein ist eine körperliche Erfahrung.“ In ihrem Buch machen sie deutlich, wie sie das wirkungsvoll in der Praxis für ihre Klienten erfahrbar machen.
Psyche und Körper sind beteiligt
Es ist bei weitem nicht allein die Psyche, die das Trauma verarbeitet, sondern es ist vor allem auch der Körper, der hieran einen großen Anteil hat. Das Gehirn schickt Impulse, das Herz-Kreislauf-System springt an, das gesamte Nervensystem reagiert und alles zusammen macht das Körpergefühl aus. Man spricht von top-down Regulation – also von oben nach unten, vom Kopf zum Herz zum Bauch.
Und es funktioniert auch andersherum: Das Körpergefühl sendet Botschaften über das Nervensystem an das Herz-Kreislauf-System und an das Gehirn. Nun sprechen wir von einer Regulation, „die über den Körper die Physiologie verändert und dadurch ein anderes Fühlen und Denken möglich macht.“ (S .59) Die Regulation verläuft nun umgekehrt: Zuerst spürt der Körper etwas, ein Gefühl löst einen Impuls aus, der als Gedanke bewusst werden und mental Einfluss nehmen kann. Wir sprechen von bottom-up Regulation.
Traumasensibles Yoga
Über Einflussnahme auf körperliche Prozesse vermögen wir demnach, auf psychische Prozesse zu wirken und wieder Verbindung zu spüren. Hilfreiche Visionen, Meditationen, Texte und Bilder werden eingesetzt, um die äußere Körperhaltung mit einer inneren Bewusstseinshaltung zu verbinden. Die Yogaübungen ermöglichen neue Erfahrungen zwischen Körper und Psyche, die schließlich auch ein verändertes Selbsterleben zur Folge haben. Langsam, mit viel Feingefühl gesät, gepflegt und mit Selbstmitgefühl gedüngt, wächst das zarte Pflänzchen neuen Vertrauens zu größerer innerer Stärke heran.
Ich bin überzeugt davon, dass wer die Zusammenhänge besser versteht, umso besser von der Wirkung profitiert. Ich glaube auch, dass dieses Buch von Dunemann, Weiser und Pfahl bei dem Versuch, aus seinem Trauma heraus und in neue Verbundenheit hineinzuwachsen, sehr hilfreich sein kann. Deshalb möchte es nicht nur Therapeuten ans Herz legen, sondern auch allen anderen, denen das Schicksal jemals Wunden zugefügt hat, die nur schmerzend vernarben, und die sich über sanfte Bewegung und wohltuende Bilder wieder mehr mit sich selbst verbinden und Selbstmitgefühl entwickeln möchten.
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