Liebe ist kein Gefühl
„Gefühle müssen sich ständig ändern, sie sind Seismographen.“
(Michael Lehofer)
Gefühle halten uns auf Trab. Sie sorgen für Höhenflüge und Glückseligkeit ebenso wie für Abstürze und dunkle Momente. Das Kuriose ist: Innerhalb weniger Augenblicke könnten sich Gefühle ändern – gerade eben noch gelacht, dann in Tränen ausgebrochen, erst wütend und wenig später liegt man sich versöhnt in den Armen. Dramatik. Wechselbäder der Gefühle. Wie ein Seismograph zeigen sie unsere inneren Bewegungen exakt an.
„Liebe ist kein Gefühl.“
Auch das sagt Michael Lehofer in seinem Buch „Mit mir sein.“ Diese Aussage widerspricht zunächst der landläufigen Meinung, Liebe sei das reinste Gefühl, zu dem wir fähig sind. Doch näher betrachtet, wird diese Aussage, Liebe sei kein Gefühl, durchaus nachvollziehbar. Liebe ist nicht flüchtig, wie Gefühle, sie ist eine Grundempfindung des menschlichen Organismus. Sie ist dauerhaft, vergleichbar einer Grundhaltung, auf der andere Gefühle entstehen und wachsen.
Liebe ist spürbar als eine tiefe Verbundenheit. Unabhängig von Tagesform oder Launen, von Aussehen oder Geschenken, von Gegen- oder Vorleistungen, gründet sie tiefer. Wer liebt, weiß das. Spürt das. Viele verschiedene Gefühle kommen aus der Liebe. Viele positive wie Freude, gute Laune, Sehnsucht, Lebens- und Unternehmungslust. Auch negative Gefühle sind Teil der Empfindung, wie beispielsweise Ärger, Enttäuschung, Eifersucht, Traurigkeit oder gar Hass. Liebe kann den Ausschlag zu heftigsten Gefühlen geben.
Selbstliebe: Nähe zu sich selbst
Frage ich Klienten, wie es um ihre Selbstliebe steht, ruft das manchmal etwas Betroffenheit hervor. So als wäre es anrüchig, sich selbst zu lieben. Auch hier führt der nähere Blick darauf, was Selbstliebe ist, dann zu einem neuen Verständnis. Zum Beispiel wird verstehbar, dass Liebe nur auf der Grundlage von Selbstliebe wachsen kann, verstanden als dieses uneingeschränkte Ja zu sich selbst, als Einverstandensein mit all seinen Ecken und Kanten.
Selbstliebe schließt alle Facetten der Person mit ein, sie würdigt Stärken und Fähigkeiten (ohne Überheblichkeit) und verzeiht Schwächen und Grenzen (ohne Groll). Sie fühlt sich ermutigend an, weil und obwohl wir nicht perfekt sind. Und Selbstliebe hilft uns dabei, niemals den Glauben an uns selbst aufzugeben sondern liebe- und verständnisvoll zu sein: verzeihend, gelassen, zugewandt, verstehend. Das Empfinden von Verbundenheit mit uns selbst wächst und vertieft sich und füllt unser Herz, damit es überfließt und sich an andere verschenkt.
Selbstliebe ist nicht Selbstverherrlichung
Selbstverherrlichung sieht häufig so aus, dass sich Menschen für die tollsten, schönsten, größten halten und dies ständig von anderen hören wollen. Sie verwechseln Selbstliebe mit Lob und Applaus von außen und hoffen, damit der Angst vor ihrer inneren befürchteten Leere zu entkommen. Es ist der Versuch, die eigene Unsicherheit und innere Selbstzweifel zum Schweigen zu bringen, möglichst für immer. Doch alle Bestätigung und Anerkennung von außen kann fehlende innere Verbundenheit nicht ersetzen oder erzeugen.
Es hilft alles nichts: Es braucht den Mut zur Selbsterkenntnis! Es braucht den Mut der Hinwendung zum Schmerz und eine Konfrontation mit unserer Angst. Schauen wir ihr ins Gesicht, können wir sie erkennen. Und dann können wir lernen, Unsicherheit zu akzeptieren – denn alle Menschen sind irgendwie unsicher; dann können wir lernen, Selbstzweifel zuzulassen – denn vielleicht sind sie manchmal berechtigt und hilfreich. Sie gehören zu uns, sie sind auch ein Teil dieser tiefen Verbundenheit mit uns selbst, genauso wie alle unsere liebenswerten Seiten.
In diesem Sinne grundlegender Selbstliebe, die die Mutter aller Liebe ist: Heißen wir ALLE Gefühle in ihrer Veränderbarkeit willkommen und schätzen wir sie als das, was sie für uns sind: ein persönlicher Seismograph.
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