Darf’s etwas mehr Selbstachtung sein?
Mögen Sie sich? – Freuen Sie sich am Morgen darauf, den Tag mit sich selbst verbringen zu dürfen? – Wissen Sie, warum andere gerne mit Ihnen befreundet sind?
Stabilität und Höhe der Achtung, die man sich selbst entgegenbringt, ist ein Gradmesser dafür, ob man überwiegend glücklich und zufrieden lebt, ob man erfolgreich und beliebt ist, oder aber ob man eher mit dem Leben hadert und erfolglos vor sich hindümpelt. Dabei ist es durchaus normal, dass diese Selbsteinschätzung schwankt, denn wir lassen uns von unserem Umfeld stark beeinflussen. Grund zur Besorgnis gibt es nur dann, wenn wir grundsätzlich zu wenig oder zu viel an Selbstachtung haben und dadurch in Schwierigkeiten geraten.
Rosenberg Selbst-Achtungs-Test
Der Soziologe Morris Rosenberg hat im Jahr 1965 einen einfachen Test entwickelt, mit dem man Selbstachtung ermitteln kann. Der Test hat bis heute nichts an seiner Brauchbarkeit verloren – vielleicht gerade deshalb, weil er mit ganz einfachen Fragen und Aussagen arbeitet:
Sind Sie insgesamt mit sich zufrieden?
Glauben Sie manchmal, dass Sie gar nichts wert sind?
Denken Sie, Sie haben eine Reihe von richtig guten Qualitäten?
Sagen Sie von sich, dass Sie die meisten Dinge ebenso gut wie alle anderen Menschen erledigen können?
Es gibt nicht viel, worauf ich stolz sein kann.
Ich fühle mich manchmal so nutzlos. …
Insgesamt sind es nicht mehr als 10 Fragen, man kreuzt lediglich an, in welchem Maße man zustimmt, und zählt am Ende seine Punkte zusammen. ➤ Hier können Sie den Test gleich machen (leider nur auf Englisch).
Wer weniger als 15 Punkte erreicht, hat zu wenig Selbstachtung und sollte unbedingt herausfinden, wie er das ändern kann. Und die gute Nachricht ist: Das geht! Selbstachtung lässt sich gezielt verbessern, ja, es ist sogar das Ziel von Psychotherapien im Allgemeinen. Es ist ein Wagnis, das den Mut erfordert, sich ehrlich auf sich selbst zu beziehen, sich zu beobachten, realistisch einzuschätzen und sich auch Kritik zu stellen. Es fördert andererseits den Mut, seine Stärken zu erkennen, seine Eigenheiten lieben zu lernen, seine Qualitäten zu nutzen und ganz die Person zu werden, die man tatsächlich ist. Unverstellt.
„Ich wage es, mich zu zeigen“
Es gehört große Selbstachtung dazu, sich zu zeigen und sich dem Urteil der anderen zu stellen. Denn das ist es doch, was wir letztlich fürchten: dass wir nicht die Anerkennung finden, die wir uns wünschen. Selbstachtung ist nicht nur, aber auch vom Urteil andere abhängig – mal mehr, mal weniger. Es lässt sich lernen, seiner selbst sicher zu sein, und mit diesen Schwankungen gut umzugehen. Wir verstehen nach und nach, dass auch Fehler und in Würde zu scheitern zu jedem Leben dazu gehören. Das bedeutet nicht, dass man persönlich weniger Wert wäre, sondern so funktioniert auch Lernen, so macht man Erfahrungen und es ist eine Verbindung mit dem Leben, wie es nun einmal ist.
„Ich wage es, mich zu zeigen“ ist für mich eine Affirmation, die Mut zur Authentizität macht. Die Zeile ist einem Gedicht von Ullrich Schaffer entlehnt:
Ich wage es
an mich selbst zu glauben
an meinen Drang nach Reife,
an meine Liebesfähigkeit,
an meine Begabung zur Freundschaft,
an meine entschiedene Ausdauer,
an meine immer neue Hoffnung.
Aber auch wenn ich versage und Fehler mache,
wenn ich unnötig verletze,
wenn ich anderen die Freiheit nehme,
wenn ich kleinkariert werde,
wenn ich mich nicht mehr erneuere,
wenn ich hart und unnahbar werde,
auch dann will ich glauben,
daß neben der Zerstörung
auch das Lebensförderliche in mir wohnt,
und ich will es hervorlocken
mit meiner Hoffnung und meinem Mut.
Eine solche Haltung macht Selbstachtung und Selbstrespekt möglich, denn sie akzeptiert, dass die widersprüchlichen Kräfte in uns nebeneinander einen Platz haben, aufeinander bezogen sind.
Selbstachtung zeigt sich in Verhalten
Ausgewogene Selbstachtung zeigt sich auch im Umgang mit anderen Menschen: Wir fühlen uns weniger wert, weil die Konkurrentin mehr Erfolg hat. Wir neiden den anderen ihre Fortschritte, weil sie sie leichter und schneller erringen, als wir selbst. Wir machen andere schlecht, weil wir unsere Bewunderung für sie nicht zugeben können = wollen. Wir verstecken uns und stehen nicht zu uns selbst, weil wir Kritik und Ablehnung fürchten. Wir machen Witze auf dem Rücken anderer sozialer Gruppen, um uns selbst ein wenig aufzuwerten. Wir identifizieren uns lieber mit Siegern, dann fühlen wir uns selbst auch wenig besser. – Alles völlig alltägliche, normale, verständliche Verhaltensweisen.
Haben Sie sich selbst bei dem ein oder anderen Beispiel an die eigene Brust klopfen können? Bestimmt, denn das sind übliche Mechanismen, mit denen wir versuchen, unseren Selbstrespekt zu schützen. Niemand kann sich davon frei machen. Doch wir können es bemerken und uns fragen, ob das ein Verhalten ist, das wirklich zu uns passt. Wir können wachsen. Durch Bewusstheit um eigene Stärken und Schwächen, durch das Bemühen, uns in unseren eigenen, komplexen Verstrickungen zwischen Anerkennung und Ablehnung zurechtzufinden und sie in der Waage zu halten.
„Gesund werden heißt, die Selbstachtung wiederzugewinnen.“
Das schreibt Francois Lelord in seinem Buch „Die Kunst der Selbstachtung“. Gesund heißt in diesem Zusammenhang: über ein ausgewogenes Maß an Selbstachtung zu verfügen. Viele Menschen brauchen Unterstützung dabei, ihren Respekt vor sich selbst zurückzugewinnen und ihre menschliche Würde auch anzuerkennen und zu spüren.
Es ist mir ein Anliegen, diesen Prozess zu unterstützen. Über Selbstakzeptanz und bewusstes Anerkennen der eigenen Würde wird Selbstachtung enorm gestärkt. So lernen wir immer besser die Kunst, dieses Gefühl täglich bewusst zu erleben, bis es uns schließlich ganz vertraut ist und uns ausfüllt. Augenblicke von Selbstzweifel und zerstörerische Gedanken erkennen wir schneller und entkräften sie, wir kehren zurück zu dem guten Gefühl, uns selbst so zu mögen, wie wir sind.
Freuen wir uns also jeden Morgen aufs Neue, dass wir wieder einen spannenden Tag mit uns selbst verbringen dürfen :-).