Ich bin liebenswert – oder doch nicht?
In ihrem Beitrag in Psychology Today vom März 2009 stellt die Psychologin Joanne V. Wood (University of Waterloo, Kanada) die Frage: Should we re-think positive thinking? – Sollten wir den Wert von positivem Denken neu bewerten?
Der Beitrag bezieht sich auf einen Versuch, den die Professorin für Psychologie mit Ihren Studenten durchführte, um zu prüfen, ob und wie Affirmationen bei unterschiedlichen Menschen Wirkung zeigen. Sie stellte dazu zwei Versuchsgruppen von Studenten zusammen, die sich durch ihren Grad an Selbstvertrauen unterschieden: Die Mitglieder der einen Gruppe waren relativ selbstsicher und glaubten an sich selbst, während die Studenten der anderen Gruppe eine eher niedrige Meinung von sich selbst hatten. Beide Gruppen sollten vier Minuten lang jeweils die Affirmation denken oder schreiben: „Ich bin liebenswert.“
Sind Affirmationen nicht hilfreich?
Was glauben Sie, wie das Ergebnis ausfiel? – Die vorher bereits selbstsicheren Studenten fühlten sich von der Affirmation gestärkt. Die anderen jedoch, die vorher schon von Selbstzweifeln geplagt waren, gingen mit einem unguten Gefühl aus der Situation heraus. Die Affirmation hatte sie noch mehr verunsichert und sie fühlten sich weniger liebenswert als vorher.
Joanne V. Wood folgert nun, dass Affirmationen nicht hilfreich sind für Menschen mit einem schwachen Selbstbild und niedrigem Selbstbewusstsein.
Mich überrascht dieses Ergebnis nicht und ich kann es nicht als Beweis dafür werten, dass Affirmationen für diese Menschen nicht funktionieren. Jeder, der mit Affirmationen arbeitet, wird immer wieder einmal an einen Punkt kommen, an dem er inneren Widerstand gegen einen Satz spürt. Das Gefühl zu dem Satz stimmt einfach nicht. Die eigene Wunschvorstellung verursacht mehr inneren Stress, als dass die gewollte Entwicklung vorausgenommen werden könnte. Das bedeutet für uns aber nicht, dass wir uns nicht selbst durch positive Sätze unterstützen könnten. Es heißt nichts anderes, als dass uns eine Grenze offenbar wird, über die wir nicht achtlos hinweggehen sollten. Der Versuch beweist für mich vor allem eines, nämlich dass Affirmationen eine Wirkung haben, nur eben nicht immer direkt die erwünschte – und das ist für sich gesehen auch wieder positiv, eröffnet es doch eine Chance hinzuzulernen.
Stimmige Affirmationen wirken
Affirmieren bedeutet etwas verstärken, bekräftigen. Es ist also demnach logisch, dass etwas bestärkt wird, was bereits vorhanden sein muss. Der Versuch zeigt meiner Meinung daher deutlich, dass Affirmationen nicht gegen die eigenen inneren Überzeugungen oder gegen unbewusste Glaubenssätze gewählt werden dürfen. Jeder muss auf sich selbst achten, damit er sich nicht schadet und muss auf seine inneren Widerspruch gegen eine Formulierung achten. Es ist danach eine Frage der Umformulierung, die richtige Affirmation zu finden, die tatsächlich unterstützend wirkt. Fühlt sie sich unstimmig an, sollte genau hier der innere Dialog fortgesetzt werden.
Lassen Sie mich einen hypothetischen Versuch konstruieren: Angenommen, wir haben eine Versuchsgruppe, deren eine Hälfte Schwimmer sind, die andere Hälfte Nicht-Schwimmer. Wir schicken nun alle in ein tiefes Gewässer um herauszufinden, ob Wasser Menschen trägt. Das Ergebnis des Experimentes steht bereits vorher fest: Wahrscheinlich wird die Hälfte der Versuchsgruppe ertrinken.
Dürfen wir jetzt folgern, dass Wasser schädlich ist für Menschen, die nicht schwimmen können? Nein. Wir folgern stattdessen: Es ist gut, schwimmen zu lernen!
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