Die Schönheit unangenehmer Gefühle
„Du kannst deine Augen schließen, wenn du etwas nicht sehen willst, aber du kannst nicht dein Herz verschließen, wenn du etwas nicht fühlen willst.“
(Johnny Depp, US-amerikanischer Schauspieler)
Kleine Kinder machen es vor: Sie halten sich die Hände vor die Augen in der Hoffnung, dann würde verschwinden, was sie nicht sehen und nicht fühlen wollen.
Unangenehme Gefühle
Manchmal wünscht man sich, das wäre mit dem Herzen auch möglich. Einfach das Herz verschließen und die unangenehmen Gefühle aussperren … Dabei übersehen wir aber, dass der Weg umgekehrt ist: Die unangenehmen Gefühle wollen nicht rein, sie wollen raus aus dem Herzen! Sich zu verschließen bedeutet, den Schmerz, das Leid, die Trauer, die Wut oder Hilflosigkeit – eben das, was wir gerade nicht fühlen wollen – noch weiter in uns einzuschließen. Auf dass das Gefühl für immer bei uns bleibt.
Der Schuss geht nach hinten los. Verdrängung und Nicht-haben-wollen von Gefühlen trägt zu ihrer Verstärkung bei. Versuchen wir, das Gefühl einzuschließen und es nicht mehr zu spüren, zwingen wir es, sich stärker bemerkbar machen zu müssen, denn es will wahrgenommen werden, es will seinem natürlichen Verlauf folgen: Es will angeschaut und gefühlt sein, dann ist es erlöst von seinem Druck. Ähnlich einer starken Welle, die sich auftürmt und heftig am Strand aufschlägt, wo sie schließlich ausläuft und sanft im Sand versickert.
Unterdrückte Gefühle machen krank
Es ist keine neue Information, dass sich unterdrückte Gefühle schließlich mit Symptomen auf der körperlichen Ebene ausdrücken. Weil wir das wissen, können wir frühzeitig gegensteuern und selbst mithelfen, dass uns Gefühle nicht krank machen. Ich kehre das Bild von Johnny Depp jetzt um: Du kannst dein Herz aufschließen, wenn du fühlen und gesund bleiben möchtest.
Ist es leichter, sein Herz zu verschließen? Ist es schwieriger sein Herz zu öffnen? Letztlich ist das eine Frage der Gewöhnung. Die meisten Menschen sind eher mehr daran gewöhnt, ihr Herz zu verschließen – leider, möchte ich sagen. Schon von klein auf lernen wir in der Familie, dass es nicht auf Gefühle ankommt, sondern meist darauf, anderen nicht im Weg zu sein, den Betrieb nicht zu stören und zu funktionieren. Das geht aber nur, wenn wir unsere Gefühle unterdrücken, darüber hinweggehen und sie wegmachen, so gut es geht. Früher oder später rächt sich das. Denn es ist nicht der Sinn menschlichen Lebens, nur zu funktionieren. Der Sinn des Lebens ist es, seine Bestimmung und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Doch diesen Platz finden wir erst dann, wenn wir unsere Gefühle ernst nehmen.
Mut zum Fühlen
Es gehört daher sicher etwas Mut dazu, sich seinen Gefühlen zu stellen. Entscheidend ist es, zuerst einmal die eigene Einstellung zu ändern und gleichzeitig die Bereitschaft zu entwickeln, sich auf neue Erfahrungen mit seinen Gefühlen einzulassen.
- Was wird passieren, wenn ich die Energie meiner Wut anerkenne?
- Wie wird es mir gehen, wenn ich meine Trauer zulasse?
- Was verändert sich, wenn ich mich mit meinem Schmerz verbinde?
- Wie wird es sich auswirken, wenn ich Frieden schließe mit mir und meinem Leben?´
Wenn ich meinen unangenehmen Gefühlen begegne, machen solche und ähnliche Fragen einen großen Unterschied. Ich erlaube ihnen, da zu sein; ich wende mich ihnen zu; ich versuche zu verstehen, warum sie da sind. Und schließlich habe ich den Mut, durch sie hindurch zu LEBEN. Dann verstehe ich: Fühlen heißt leben.
Die Kraft nutzen
In unangenehmen Gefühlen liegt sehr viel Kraft, genauso wie in angenehmen Gefühlen auch. Wie selbstverständlich tanzen, hüpfen und lachen wir, wenn es uns gut geht. Und ebenso natürlich wollen sich auch weniger willkommene Gefühle ausdrücken. Hier ein paar Beispiele für Gefühle, die oft eher unterdrückt als gezeigt werden, und dafür, welche Kraft sie entwickeln könnten:
- Wut ist Energie, die uns mobilisiert. Wir könnten diese Energie nutzen, um etwas wirklich Wichtiges für uns zu bewegen und zu bewirken.
- Schmerz bedeutet, dass etwas nicht in Ordnung ist in unserem Körper. Er zwingt uns zur Selbstfürsorge. Wir könnten uns Gutes tun, damit die Schmerzen wieder gehen können.
- Trauer braucht viel Platz in uns, sie will besonders intensiv gespürt sein. Sie lehrt uns, uns selbst Zuwendung und Verständnis entgegenzubringen.
- Angst fordert immer auch unseren Mut heraus. Jede neue Situation macht (mehr oder weniger) Angst. Der Mut, sie zu überwinden, macht neue Erfahrungen möglich, macht uns stärker und lässt uns persönlich wachsen.
„Dann geht es mir jetzt eben so.“
Gedanken, mit denen wir Gefühle begleiten, haben starke Kraft. Solange wir uns in eine Jammer-Spirale hineindenken oder immer wieder mit voller Wucht an die Das-darf-nicht-wahr-sein-Mauer fahren, gibt es keine Chance zur Veränderung für die Gefühle. Es ist nötig, seine Gedanken zu verändern und anzuerkennen, was ist.
Wenn wir (an)erkennen, dass alle Gefühle zu uns gehören, dass alle Gefühle notwendig sind, damit wir zufrieden leben können, verlassen wir den Teufelskreis. Wenn Sie sich also demnächst einmal wieder mit unangenehmen Gefühlen konfrontiert sehen, dann denken Sie doch einfach mal diesen Satz: „Okay, dann geht es mir jetzt eben so.“
Lassen Sie sich darauf ein, Ihr Gefühl zu spüren. Vertrauen Sie darauf, dass sie das aushalten und dass das Gefühl auch wieder geht wie Wellen am Strand.
Froschkönig
Eckhardt Tolle erzählt die Geschichte vom Froschkönig als Metapher dafür, wie sich durch Akzeptanz von Gefühlen Veränderung einstellt: Solange die Prinzessin den Frosch eklig findet, ihn nicht haben will und ihre Ängste nicht überwindet, kann sie sich nicht weiterentwickeln. Der Frosch stellt sich ihr immer wieder in den Weg. Erst als sie ihn akzeptiert und ihn schließlich küsst, wird sie erlöst. Der Frosch wird zum Prinzen in ihrem Leben.
Wollen wir nicht alle lieber von Prinzen statt von Fröschen begleitet werden?
In diesem Sinne – küssen Sie alle Frösche. Haben Sie einen schönen Sommer, mit vielen Prinzen. Schließen Sie Ihr Herz auf und erlauben Sie sich all Ihre Gefühle.
Unangenehme Gefühle gehören zu uns wie Dornen zur Rose gehören. Die Schönheit entfaltet sich voll, wenn wir achtsam mit uns umgehen und unsere unangenehmen Gefühle annehmen lernen. Gerne unterstütze ich Sie dabei mit AchtsamkeitsCoaching oder HypnoCoaching. Schreiben Sie mir!
Inspirierend ist, was mir eine Leserin zu diesem Beitrag schrieb:
Liebe Frau Quirmbach
Ich freue mich jedesmal auf die Lektüre Ihres Newsletter.Immer sehr erhellend und stösst Gedanken an. Gerade jetzt, wo ich nach dem Auszug des Nesthäckleins Trauer verspüre.
> Nun kommt mir aber der Frosch in die Quere…..
> Die Prinzessin hat den Frosch eben nicht geküsst, so sehr er sich das wünschte, sie hat ihn an die Wand geworfen. Seine Wünsche wurden ja auch immer unverschämter.
> Irgendwann ist das im Volksgedächtnis anders abgespeichert worden und das Bild mit dem Prinzen, den man aus dem Frosch küssen kann,ist sehr populär geworden. Hat ja auch was.
> Indem sie ihn an die Wand warf, erlöste sie ihn und er wurde zum Prinzen.
> Gäbe es für diese Originalversion des Märchens auch eine Deutungen für den Umgang mit den ungeliebten Gefühlen? Bin gespannt.
>
> Liebe Grüsse
> Susanna Schmaltz
> aus dem Herzen der Schweiz
Meine Antwort an Susanna:
Liebe Frau Schmaltz,
jetzt konnte ich aber mal herzlich lachen!
Sie haben ja völlig Recht! Ich habe mich von der populären Kuss-Version inspirieren lassen, an das Original habe ich gar nicht mehr gedacht. Und ganz ehrlich: Die Möglichkeit, den Frosch an die Wand zu werfen, hat bei weitem nicht diese Interpretationsmöglichkeiten in dem von mir vertretenen Sinne. Genau das tun wir doch oft zu lange und behandeln unwillkommene Gefühle schlecht, hadern damit und hadern auch mit uns, dass wir diese “schlechten” Gefühle haben. Also: Um in dem heilsamen Bild des Annehmens und Akzeptierens zu bleiben, muss der Frosch letztlich geküsst werden.
Wenn ich auf ein anderes Bild ausweichen wollte, dann wäre es folgendes: Wer seinen Gefühlen ehrlich folgt und auch den Mut hat abzulehnen, was nicht in sein Leben passt, wird schließlich belohnt werden und wird sein Glück finden.
Es würde mich natürlich sehr interessieren, ob Sie für sich und Ihre Lebenssituation eine hilfreiche Deutung für die Originalversion haben :-)
Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung, hat mich gefreut!
Ihre
Konstanze Quirmbach
Die Antwort Susannas möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
Liebe Frau Quirmbach
Eine so schnelle Antwort – herzlichen Dank.
Beides sind gute Deutungen: das Unangenehme küssen und ihm so den Schrecken nehmen. Annäherung durch eine liebevolle Handlung.
Manchmal tut mir auch das andere gut. Indem ich das Hässliche und Unliebsame an die Wand klatsche,offenbart es mir seine wahre Gestalt. Und die ist, oh Wunder, meistens schön oder immerhin heiratbar, also integrierbar in mein Leben.
Was meine jetzige Trauer braucht, ist das Küssen des Frosches. Würde ich meinen Sohn nicht lieben, würde ich nicht trauern. Diese Trauer möchte ich würdigen.
Ein heilsames Bild, es wird mich begleiten.
An die Wand werden dann wieder die Monster Emotionen, die unverschämten und fordernden geworfen.
Liebe Grüsse
Susanna Schmaltz
Fachfrau für Familienstellen
Vielen Dank, ich muss viel darüber nachdenken, aber ich denke, es hängt von der Person ab, was angenehme / unangenehme Dinge betrifft …
Hallo Frau Quirmbach,
toller Artikel über die unbewussten Gefühle. Ich hatte lange genau dieses Problem, dass ich jeden Tag von unangenehmen Gefühlen begleitet worden bin. Das wurde so schlimm das diese Gefühle mich Glauben ließen das etwas mit mir nicht stimmt. Heute weis ich das es mir gut geht und das es nur Gefühle sind die raus gelassen werden wollen.
Wenn eine solche Attacke nun wieder kommt versuche ich mich bewusst zu entspannen und auf andere Gedanken zu kommen. Das hat mir geholfen.
Beste Grüße