Schlimm-Trance oder Wunder-Trance?
In welcher Gedanken-Trance bist du heute unterwegs?
Laut Gunter Schmidt (einer der bekanntesten Therapeuten Deutschlands, der mit Hypnose arbeitet) ist Trance ein geistiger Zustand, der durch die einfache Fokussierung von Aufmerksamkeit entsteht. Es ist also etwas ganz Alltägliches.
Gunter Schmidt weiß, dass wir wohl meist nicht ganz freiwillig bestimmen, wo gerade unser Fokus liegt, vielmehr geschieht “es” ganz unwillkürlich und bleibt unbewusst. Doch das heißt nicht, dass wir diesen Zustand nicht bemerken und dann unseren Willen einschalten könnten. Im Gegenteil. Wir können auf unsere Gedanken und Gefühle achten und unseren mentalen Zustand bemerken. Danach wird eine bewusste Entscheidung darüber möglich, ob wir in einer Trance bleiben oder sie verlassen und verändern möchten.
Die Schlimm-Trance
Vor kurzem traf ich eine junge Frau und wir unterhielten uns gut. Es stellte sich heraus, dass sie einen tollen Aufenthalt in Indien hinter sich hatte und wieder versuchte, neu Fuß zu fassen. Nach Einzelheiten befragt, erfuhr ich, wie schlimm es für sie war, sich wieder an einen neuen Rhythmus gewöhnen zu müssen. Auch eine Wohnung zu finden, war total schlimm. Und die Suche nach einem Arbeitsplatz war wirklich richtig schlimm, weil es immer irgendein Hindernis gab. Sie war nicht wirklich zufrieden und fand es echt schlimm, dass sie nicht wirklich vorankam in ihrem Leben; aber sie war sich nicht darüber bewusst, dass sie sich förmlich von dieser Einstellung in Trance versetzen ließ.
Wer in dieser Schlimm-Trance lebt, hat es schwer, das Leichte zu entdecken und zuzugreifen, wenn sich etwas Günstiges anbietet. Hinter allem wird das Schlimme vermutet. Der Blick auf die Welt, die Ereignisse und sich selbst wird wie von einer Dunstwolke verdunkelt.
Ich glaube, dass jeder Mensch diese Dunstwolke kennt. Stehen wir am Morgen schon schlecht gelaunt und dann auch noch mit dem linken Fuß auf, ist es schon fast vorprogrammiert, dass der Tag nicht unser Freund ist. Entweder machen dann die anderen alles falsch oder wir lassen an uns selbst kein gutes Haar, nörgeln und meckern den ganzen Tag herum. Die Schlimm-Trance hält uns im Griff.
Der Unterschied
Im Coaching sind wir darauf aus, Unterschiede zu erkennen und Unterschiede herbeizuführen. Die Aufmerksamkeitsfokussierung spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle, denn ist sie erst einmal erkannt, können wir uns bewusst und gezielt verändern durch eine neue Fokussierung auf etwas, das für uns hilfreich und stärkend ist. Was es dazu braucht, ist das achtsame Bemerken der eigenen Befindlichkeit. Es ist nicht schlimm, zeitweilig pessimistisch zu sein, sich hilflos zu fühlen oder seine Situation als irgendwie aussichtslos zu beurteilen, solange es gelingt, diese mentale Negativschleife zu bemerken und selbst die Verantwortung zu übernehmen. Es sind ja nie die Dinge selbst, die wirklich schlimm sind, sondern es ist immer der eigene Blick auf die Dinge, auf eigene Möglichkeiten und Fähigkeiten, mit den Dingen umzugehen oder klarzukommen.
[bctt tweet=“Entscheide dich für eine Zuversichts-Trance und verlasse deine begrenzenden Denk-Trancen.“ username=“koquirmbach“]
Verantwortung zu übernehmen für den eigenen inneren Zustand, für die Gedanken, die du selbst denkst und die Gefühle, die du zulässt, macht einen sehr großen Unterschied. Dann erst bist du in der Lage, einen Plan zu entwickeln, wie du es besser machen kannst. Du hast die Wahl: Anstatt dir durch katastrophisierende und hinderliche Gedanken selbst Knüppel zwischen die Beine zu werfen, kannst du dich ebenso gut mental unterstützen, Zuversicht und Hoffnung aufkommen lassen und eine freundlichere Haltung dir selbst und den Dingen gegenüber einnehmen.
Die Wunder-Trance
Gestern auf meinem Hundespaziergang sind mir im frühen Sonnenlicht die intensiven Farben der Blüten förmlich ins Auge gesprungen. Knallrot, schreiend pink, tiefblau, blendend weiß, sonnengelb, lichtdurchlässiges Rosa, alle Facetten von Grün. Mir fielen die vielfältigen, unzähligen verschiedenen Formen der Gräser, Blüten, Blumen, Sträucher und Gewächse am Wegrand auf und ich spürte eine Ehrfurcht vor diesem sichtlichen Reichtum. Es mischte sich nach und nach ein Gefühl von Dankbarkeit in meine Gefühle. Für nichts bestimmtes, einfach für all das. Und während ich den Duft nach Meersalz und Wildrosen einatmete, ging ich glücklich weiter. Wunder-Trance.
Das ist ein ganz alltägliches Beispiel für eine mögliche Wunder-Trance. Es findet sich jeden Tag etwas, das ich beWUNDERn kann und das mich dankbar macht. Es muss nichts Großes sein. Aber ich kann es als groß bewerten – zum Beispiel den Blick über das weite Meer, einen Sonnenauf- oder -untergang, den Wolken am Himmel zusehen, einen klaren Nachthimmel betrachten. Ich kann auch als etwas Großartiges und Wunderbares bewerten, wie Licht in einem Wassertropfen reflektiert, wie eine Ameise eine viel zu schwere Last ans Ziel schleppt, wie ein Samen ein erstes weiches Blatt durch die harte Erde treibt oder welches Wunder eine Schneeflocke ist. Die Wunder-Trance löst Gefühle von Dankbarkeit, Anerkennung und Demut aus, von Ehrfurcht und Verbundenheit. Und es ist unsere eigene Entscheidung, diese Haltung einzunehmen.
Altruismus und Transzendenz
Ich finde es gut, dass einige Forscher sich zur Zeit mit diesem Thema näher beschäftigen, weil die Ergebnisse zu der beschriebenen Haltung ermutigen. Sie untersuchen die Auswirkungen von Ehrfurchtsgefühlen (awe feelings) und stellen fest:
Wenn wir uns öffnen für die Begegnung mit Dingen, die größer und weiter sind als wir selbst, erfahren wir uns selbst als weniger wichtig. Das Ego tritt in den Hintergrund, das Gemeinsame in den Vordergrund, das Umfassende, das Transzendierende wird erlebbar. Diese innere Erfahrung fördert ein altruistisches Verhalten.
In verschiedenen Versuchen an unterschiedlichen Universitäten kam man zu ähnlichen Ergebnissen, nämlich dass Menschen nach einem “Ehrfurchsterlebnis” eher bereit waren, zu teilen und anderen zu helfen. Gefühle von Bescheidenheit wurden spürbarer und gleichzeitig wuchs die Bereitschaft, die Stärken anderer mehr anzuerkennen. Gleichzeitig reduzierte sich innerer Stress in Bezug auf alltägliche Herausforderungen. Das Gefühl von Bewunderung und Ehrfurcht lässt Menschen ein intuitives Verständnis davon entwickeln, dass sie Teil einer größeren Gemeinschaft und einer erhaltenswerten Welt sind.
Wunder-Spaziergang
„Wir sind jetzt in den Bergen und sie sind in uns, feuern Enthusiasmus an, lassen jeden Nerv erzittern, erfüllen jede Pore und jede Zelle in uns.“
(John Muir, Schriftsteller, Naturwissenschaftler, Geologe, Erfinder, Ingenieur)
Beginne deinen Spaziergang mit ein paar tiefen Atemzügen.
Spüre, wie deine Füße den Boden berühren, Schritt für Schritt.
Öffne dich nach und nach für die Geräusche um dich herum und alles, was du siehst.
Atme ein und aus und halte Spüren, Hören und Sehen in einem offenen Gewahrsein.
Nimm eine Haltung von Neugierde ein, lass dich inspirieren.
Entdecke die Welt – Weite und Größe, Details und Winzigkeiten.
Kehre zum Atem zurück, atme in dein Gefühl hinein und gib ihm viel Raum.
Lass dich führen und entdecke die Auswirkungen deines Wunder-Spaziergangs auf dein Gemüt.
Zu diesem Blogbeitrag hat mich Dacher Keltner inspiriert mit dem Text A Guided Awe Walk Meditation.