Was ich fühle, stimmt für mich – Gefühlen vertrauen
„Was ich fühle, stimmt für mich.“ – Tut es das wirklich?
„Ach, das tut doch schon gar nicht mehr weh!“ „Das ist doch nicht so schlimm!“ „Ein Indianer zeigt keinen Schmerz.“ „Stell dich nicht so an!“
Solche oder ähnliche Sätze haben wir schon häufiger gehört und vielleicht auch schon gesagt in der guten Absicht, von einem Schmerz ablenken und trösten zu wollen. Doch kommt diese Intention wirklich an?
Meine Erfahrung mit solchen Sätzen ist nicht nur erfreulich. In der Regel werden sie dann gesagt, wenn die Zeit einfach noch nicht reif ist, wenn der Schmerz noch groß ist und alles ausfüllt, wenn die Botschaft der Gefühle noch eindeutig sagt: DOCH, das tut jetzt grade sehr weh!
Was oder wer wird hier Lügen gestraft? Bei mir war es nicht der Schmerz, sondern die Vorstellung, dass ich selbst es bin, die „lügt“, die das Gefühl nicht richtig erkennt – die nicht richtig ist.
Zuerst ist das Gefühl
Als Kind habe ich irgendwann angefangen, an meinen eigenen Gefühlen zu zweifeln. Müssten die Erwachsenen es nicht besser wissen als ich? Irgendwie haben mich diese Sätze zwar nicht getröstet, aber ich sollte sie glauben. Als „braves“ Kind habe ich meine Unsicherheit, ob mein eigenes Gefühl nicht doch stimmen kann, immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Und mit der Zeit habe ich automatisch der Rückmeldung von außen mehr geglaubt, als meinem eigenen Gefühl.
Wenn ich spüre, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann stimmt das für mich. Wenn mir etwas wehtut, dann braucht mir niemand zu sagen, dass das nicht so schlimm ist – „Doch“, möchte ich sagen, „es ist gerade schlimm!“
Wenn ich etwas nicht will, dann muss ich mein Nein nicht begründen. Es darf sein, dass mir dieses Etwas einfach nicht gefällt. Punkt.
Jeder hat ein Recht auf seine Gefühle und schuldet niemandem Rechenschaft. Und wir können umgekehrt uns nicht anmaßen zu wissen, wie andere fühlen. Da können wir uns nur auf uns selbst beziehen.
Später, als ich erwachsen wurde und mir niemand mehr sagte, wie ich mich fühlen sollte, hat es dennoch lange gedauert, bis ich mir meiner eigenen Gefühle wieder ganz sicher war. Dann ist mir aufgefallen, wie wichtig es für das Selbstvertrauen ist, die vorhandenen Gefühle – den Schmerz, das ungute Bauchgefühl, die Ablehnung, das innerliche Nein – zunächst einmal auszusprechen und sie damit wirklich zu bestätigen. Dazu ist es gut, Menschen um sich zu haben, die bereit sind, genau diese Gefühle anzuerkennen und sie mit dir anzusehen. Dann kannst du glauben, dass eine Berechtigung hat, was da ist, dass es wirklich einen Grund gibt, das zu fühlen, was du fühlst. Kein Zweifel mehr, dass es angemessene Beachtung verdient, denn es macht dich in diesen Momenten aus.
Grundbedürfnis: Gesehen werden
Eines der wichtigsten menschlichen Grundbedürfnisse ist, gesehen zu werden. Von klein auf will ein Mensch als das einzigartige Wesen wahrgenommen werden, das er ist. Anerkennung ist die Voraussetzung für eine gesunde psychische Entwicklung. Wir alle brauchen Menschen, die uns lieben und uns Sicherheit geben. Dann öffnen wir uns und holen das Beste aus uns heraus. Dann vertrauen wir uns selbst und unseren Gefühlen, weil andere Menschen uns vertrauen, uns ernst nehmen und uns spiegeln. Dank eigener Spiegelneurone entwickeln wir Mitgefühl, weil wir erlebt haben, wie sich das anfühlt. Und das größte Geschenk ist es, später als Heranwachsende und Erwachsene seinen Gefühlen trauen und sich auf Beziehungen einlassen zu können.
[bctt tweet=“Gefühle erzählen die Geschichte eines Menschen.“ username=“koquirmbach“]
Grundbedürfnis: Gehört werden
Das wohl stärkste Grundbedürfnis des Menschen ist Zugehörigkeit. Wenn Menschen ausgegrenzt und gemobbt werden, aktiviert das im Gehirn die gleiche Zelltätigkeit wie bei körperlichen Schmerzen (Studie der Hirnforscherin Naomi Eisenberger). Ohne Zugehörigkeitsgefühl können Menschen aggressiv und gewalttätig oder gleichgültig und leblos werden. Wir sind soziale Wesen und wir brauchen andere, um uns zu entwickeln und uns als Menschen ganz zu fühlen. Niemand hat alleine Bestand, alle brauchen soziale Einbindung.
Gehört zu werden heißt zu spüren, dass die eigenen Worte Wirkung entfalten. Damit erleben wir uns als wirksam und glauben an unsere Bedeutung in der Welt und daran, dass unser Leben Sinn macht. Umgekehrt gelingt das Einfühlen in andere Menschen umso besser, je intensiver wir zuhören können. Wirkliches Verständnis hört nicht da auf, wo wir auf verbaler Ebene verstehen, was jemand sagt; hier erst beginnt der Prozess wirklichen Verstehens:
Wie siehst du die Welt? Welche Erwartungen hast du? Wie kommt es, dass du ganz anders fühlen kannst als ich? Was können wir voneinander lernen?
Wenn wir Fragen stellen, weil wir uns füreinander interessieren, findet echter Austausch statt. Und dann kann jeder von uns seinen Wert und seine Wirksamkeit spüren. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Beitrag von Claus Otto Scharmer, Senior Lecturer am Massachusetts Institute of Technology (MIT), über den ich in dem Beitrag Zuhören ist nicht gleich zuhören geschrieben habe.
Ich fühle nicht, was du fühlst.
Die Affirmation „Was ich fühle, stimmt für mich“ bestärkt den Glauben an uns selbst als die einzig zuständige und kompetente Instanz für alles, was unsere Gefühle betrifft. Dieser Glaube kann untergraben werden und die Gefahr ist real, dass wir uns von anderen etwas einreden lassen, von denen wir anerkannt sein wollen. Doch ist es nicht so, dass sie uns dann für das anerkennen, was sie gerne in uns sehen möchten, nicht aber für das, was wir wirklich sind?
„Was du fühlst, das stimmt für dich“. Das ist ein Satz, den wir in solchen Situationen mitdenken können. Denn jeder hat das gleiche Recht auf sein Gefühl und wir müssen nicht übereinstimmen, um verbunden zu sein. Ganz im Gegenteil. Unterschiede bereichern und wenn wir uns mit Neugierde begegnen, statt Gefühle wegmachen und alles gleichmachen zu wollen, dann entwickeln sich wirklich bedeutsame Beziehungen.
In diesem Sinne – fühlen Sie sich frei, das zu fühlen, was für Sie stimmt und verstecken Sie es nicht! Tauschen Sie sich mit jemandem darüber aus und erkennen Sie sich gegenseitig.
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